Kerbschlagzähigkeit

Aktualisiert am: 11.11.2024

Kerbschlagzähigkeit ist ein Maß für die Widerstandsfähigkeit eines Materials gegen schlagartige Beanspruchung. Sie ist ausschlaggebend für die effiziente und sichere Verwendung von Materialien und wird typischerweise durch den Kerbschlagbiegeversuch bestimmt.

Was ist Kerbschlagzähigkeit?

Die Kerbschlagzähigkeit beschreibt, wie gut ein Werkstoff schlagartigen Stoßbelastungen standhalten kann, ohne zu brechen. Sie ist besonders relevant für Anwendungen, bei denen das Material dynamischen Belastungen ausgesetzt ist, wie zum Beispiel in der Automobilindustrie, im Maschinenbau oder im Bauwesen.

 

Werkstoffe mit hoher Kerbschlagzähigkeit absorbieren die Energie des Schlags durch Verformung, bevor sie brechen. Sie zeigen im Bruchbild eine faserige Struktur. Hingegen haben spröde Materialien eine niedrige Kerbschlagzähigkeit. Sie brechen plötzlich und ohne große Verformung, wobei die Bruchfläche glatt und eben ist.

Einflussfaktoren

Verschiedene Eigenschaften des jeweiligen Materials und diverse äußere Faktoren beeinflussen die Kerbschlagzähigkeit:

 

  • Legierung: Die Zusammensetzung der Legierung und die Mikrostruktur bzw. die Korngröße und -verteilung beeinflussen die Kerbschlagzähigkeit sehr stark.
  • Temperatur: Mit sinkender Temperatur nimmt die Kerbschlagzähigkeit vieler Werkstoffe ab, sie werden spröder.
  • Bauteilgeometrie: Die Größe des Bauteils und die Wandstärke sind relevante Einflussfaktoren.
  • Kerbgeometrie: Die Form und Tiefe der Kerbe in der Probe beeinflussen die Kerbschlagzähigkeit.
  • Stoßgeschwindigkeit: Höhere Geschwindigkeiten verstärken die Stoßbelastung.

 

Kerbschlagbiegeversuch

Die Kerbschlagzähigkeit kann durch den Kerbschlagbiegeversuch ermittelt werden. Dafür stehen unterschiedliche Verfahren mit jeweils unterschiedlichem Versuchsaufbau zur Verfügung. Welche Methode sich am besten zur Bestimmung der Kerbschlagzähigkeit eignet, hängt von Aspekten wie dem Material der Probe und der gewünschten Prüfgenauigkeit ab.

Charpy-Kerbschlagbiegeversuch

Beim Kerbschlagbiegeversuch mittels Charpy-Pendelschlagwerk handelt es sich um ein genormtes Verfahren mit folgenden Schritten:

  1. Herstellung einer Probe: Zunächst wird eine rechteckige Probe bzw. ein Prüfstab mit einem Kerb an einer Seite erstellt. Der Kerb muss mittig der Länge als V oder U angebracht sein.
  2. Durchführung des Versuchs: Die Probe wird horizontal in das Pendelschlagwerk eingespannt. Dabei liegt sie mittig auf zwei Auflagen. Nun trifft ein Pendelhammer mit einer vordefinierten Masse mittig auf die gegenüberliegende Seite des Kerbs.
  3. Energiemessung: Die Energie, die der Pendelhammer zum Zerschlagen der Probe benötigt, wird gemessen.

 

Charpy-Kerbschlagbiegemaschine

Berechnung der Kerbschlagzähigkeit

Die Kerbschlagzähigkeit KCV wird in Joule pro Quadratzentimeter [J/cm²] angegeben und in diesem Versuchsaufbau nach folgender Formel berechnet:

 

 

E = die vom Pendelhammer abgegebene Energie [J]
A = die Bruchfläche der Probe [cm²]

Izod-Kerbschlagbiegeversuch

Beim Kerbschlagbiegeversuch nach Izod wird eine Probe mit V-förmiger Kerbe vertikal in die Kerbschlagbiegemaschine eingespannt, so dass eine Hälfte ab der Kerbe freiliegt. Das Pendelschlagwerk trifft auf das freie Ende der Probe.

 

Izod-Kerbschlagbiegemaschine

Dynstat-Kerbschlagbiegeversuch

Beim Kerbschlagbiegeversuch nach Dynstat ist ein Prüfstab mit U-Kerbe horizontal zwischen einer Auflage und einem Widerlager eingespannt. Der Schlagbolzen der Prüfmaschine trifft auf die Spitze der Probe.

 

Dynstat-Kerbschlagbiegemaschine

Gegenüberstellung

MerkmalCharpyIzodDynstat
Prüfstabkerbe– V-förmig oder U-förmig– V-förmig– U-förmig
Lagerung– horizontal– vertikal– vertikal
Beanspruchung– Pendelschlag in Kerbmitte– Pendelschlag auf freies Ende– Schlagbolzen auf Probenspitze
Anwendung– Metalle– Kunststoffe– Schweißnähte
– komplexe Geometrien
Vorteile– genaue Ergebnisse
– einfache Durchführung
– einfache Probenvorbereitung– Prüfung komplexer Geometrien möglich
Nachteile– Kerbeinfluss
– Kerbempfindlichkeit
– Kerbempfindlichkeit
– geringere Genauigkeit
– aufwändige Probenvorbereitung
– geringere Standardisierung

INFO
Neben den Kerbschlagbiegeversuchen können weitere Verfahren wie der Zugversuch oder der Bruchmechanikversuch helfen, genauere Informationen über die Zähigkeit eines Werkstoffs zu erhalten.

Einfluss der Temperatur auf die Kerbschlagzähigkeit

Die Temperatur hat einen entscheidenden Einfluss auf die Kerbschlagzähigkeit eines Materials und somit auch auf die Ergebnisse des Kerbschlagbiegeversuchs. Bei steigender Temperatur nimmt die Zähigkeit zu, bei sinkenden Temperaturen steigt hingegen die Sprödigkeit. Wie stark dieser Effekt ausgeprägt ist, ist von der jeweiligen Legierung abhängig.

 

Der Zusammenhang zwischen Werkstoffmaterial, Temperatur und Kerbschlagzähigkeit wird in der Kerbschlagzähigkeitskurve veranschaulicht. Eine wichtige Größe auf dieser Kurve ist die Brittle-Ductile-Übergangstemperatur (BDT). Unterhalb dieser Temperatur verhält sich das Material spröde, darüber zäh.

 

Unterhalb der BDT würde eine Probe beim Kerbschlagbiegeversuch ohne plastische Verformung brechen. Die BDT ist aber nicht nur entscheidend für einen aussagekräftigen Kerbschlagbiegeversuch, sondern auch in der Konstruktion in verschiedensten Bereichen.

 

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